Kennen Sie den Cartoon mit dem Storch und dem Frosch? Wenn Sie im Büro sitzen, sehen Sie sich um, die Zeichnung hängt sicher in Ihrer Nähe. Der Storch hat den Frosch halb verschluckt, aber der drückt ihm den Hals zu, um zu verhindern, dass er verspeist wird. „Never give up“ steht über dieser Szene. Sie wissen sicher, von welchem Bild ich spreche. Ich fand es irgendwann originell, aber mittlerweile nervt es mich. Sie auch? Schade eigentlich. Wenn wir irgendwann einen (für die Profis unter uns: den nächsten) Bestseller landen wollen, sollten wir es an den Spiegel heften und uns täglich vorsagen:
Niemals aufgeben.
Zum Glück habe ich etwas Besseres gefunden und brauche den Frosch auf Papier nicht mehr. Ich habe ein neues, lebendes Vorbild, dessen Durchhaltevermögen mich schwer beeindruckt. Lachen Sie nicht. Es ist die große Spinne, die seit anderthalb Monaten meinen Balkon besetzt hat. Das Exemplar auf dem Foto oben, richtig. Bei aller Bewunderung passe ich höllisch auf, dass ich ihr nicht zu nahe komme, da ich meine kindliche (oder weibliche) Arachnophobie noch nicht ganz abgelegt habe. Kleine Spinnen halte ich in meiner Nähe aus, aber wer weiß, wozu das Raubtier auf meinem Balkon fähig ist.
Aus der Distanz beobachte ich seit Wochen, wie die Spinne ihr kunstvolles Netz baut, zwischen dem Geländer meines Balkons und dem Lebensbaum, der schräg daneben im Garten steht. Sie baut, ja. Präsens. Spinnt. Immer wieder neu. Blöderweise hat sie sich den am wenigsten geeigneten Platz für ihre klebrige Falle ausgesucht. Mein Balkon hat eine Tür, durch die ich in den Garten gehen kann. Sie ahnen, was kommt? Die Gute platziert ihr Netz genau vor dieser Tür. In den letzten Wochen habe ich das Kunstwerk regelmäßig beseitigt (zum Glück musste ich in diesem Sommer nicht so oft in den Garten) und mein schlechtes Gewissen unterdrückt. Spätestens zwei Tage nach jeder Zerstörung war das aufwändige Netz rekonstruiert. Dieser Platz scheint der Spinne der Mühe wert zu sein.
Es klingt sonderlich, aber als ich mir vor Tagen zum x-ten Mal Spinnweben aus den Haaren gewischt und geflucht habe, kam die Erleuchtung. Heureka! Darum geht es – im Leben und im Schreiben:
Hinfallen, aufstehen, Krone richten, weitergehen.
Nicht kleinkriegen lassen. Es wird immer Typen geben, die meine Arbeit in Frage stellen oder ganz zerstören. Ich schreibe, streiche, zerknülle, verwerfe. Überdenke die Idee, schreibe neu, überarbeite, kürze und fange von vorne an. In Leserunden wird mein Text zerpflückt, ein Rezensent hat für das mühevoll erkämpfte Werk vielleicht nur einen Stern, aber einen gehässigen Kommentar übrig. Ich schimpfe und heule im Geheimen, aber ich mache weiter. Weil die Idee, der Text, die Leidenschaft für das Schreiben der Mühe wert sind. Bleiben Sie dran. Egal, ob Sie sich an den Frosch, die Krone oder an meine Balkonbewohnerin erinnern. Geben Sie nicht auf.
Meine Spinnengeschichte hat eine Fortsetzung. Während ich über meine achtbeinige Heldin nachsinne, hat sie mich wieder überrascht. Sie ist umgezogen, hat ihr Netz ein wenig weiter links positioniert. Jetzt kann ich problemlos die Tür öffnen und in den Garten gehen. Sie nicken, oder? Die Klügere gibt nach, meinen Sie. Ehrlich gesagt – ich kann Ihren Gedanken verstehen. Aber das geht jetzt wirklich zu weit!
Ihre Ingrid Haag
Foto: privat
(Der Artikel erschien im Blog der 42erAutoren.)